Das Glockenspiel der ehemaligen Garnisonkirche konnte bereits 1735 über einen mechanisch programmierten Algorithmus bespielt werden. Seit 1797 bis zur Zerstörung 1945 waren die Lieder Üb' immer Treu und Redlichkeit und Lobe den Herren zu hören. 2019 wurde der Nachbau von 1984 wegen revisionistischer und rechtsradikaler Widmungen auf den Glocken abgestellt.
Udo Koloska, Joanna Waluszko und Gregor Bartsch nehmen sich mit dem VERZ des Glockenspiels an: Zur Eröffnung führt der Chor das Lied Üb' immer Treu und Redlichkeit mit dem Glockenspiel auf. Die Aufnahme davon wird im Laufe der Ausstellungszeit mithilfe von Software bearbeitet, verfremdet oder fragmentiert. Mittels Modulation und Neuzusammensetzung emanzipiert sich das Lied von seinen symbolischen und historischen Festlegungen. Eine Klanginstallation macht diesen Transformationsprozess hörbar. Zum Abschluss der Transformale führt das VERZ das neu entstandene Lied auf.
Foto: Kristina Tschesch
www.waluszko.euudokoloska
Jay Gard geht in seinen künstlerischen Arbeiten vom Ort aus, der das Werk umgibt. Intuitiv orientiert er sich an umliegenden Bauten, Denkmälern und anderen Artefakten und findet für den Standort originäre Formen und Strukturen, um im anschließenden Ausarbeiten der Skulptur eine formale Aussage über den bespielten Ort treffen zu können.
Die Skulptur Potsdam steht an der Ecke der Breiten Straße und Dortustraße, wird also umgeben von den wichtigen Zeitschichten der Stadtgeschichte: Barocke Repräsentationsbauten stehen Seite an Seite mit ostmoderner und rekonstruktiver Architektur.
Jay Gard übernimmt die umliegenden barocken Formen und vereinzelt sie. Es entstehen hölzerne Ornamente, die in einem Stahlgerüst hintereinander liegend ein Inventar der Eigenheiten Potsdamer Baukunst bilden. Die Skulptur greift die Geschichte seiner Umgebung durch die architektonischen Elemente auf und bezieht durch Form und Material Stellung zum Ort und seinem Wandel.
Foto: Marcus Schneider
jaygard.de
Mit dem Bau des Rechenzentrums ab 1969 wurde um das Grundstück des VEB Maschinelles Rechnen in Abgrenzung zum Plantagenplatz eine Formsteinmauer errichtet. Die Betonelemente, entworfen von den Künstlern Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht, wurden in den letzten Jahrzehnten nachlässig behandelt und zum Teil abgetragen, bis sie durch die erneute Beschäftigung vor allem mit Karl-Heinz Adler wieder an öffentlichem Wert gewannen.
Christian Göthner untersucht in seiner Arbeit Adler die Mauer und ihre städtebauliche Einbindung. Aus der Formsprache ihrer konstruktiven Elementen abgeleitet, entwickelt er einen neuen, hölzernen Baukörper, der sich über ein Teilstück der Mauer fügt. Durch die mittig liegende Mauer teilt sich der entstandene Raum in zwei Bereiche und verdeutlicht die benachbarten Situationen des neu entstandenen PlantagenQuartiers und der durch den Abriss der Rechnerhalle entstandenen Brache. In ihrer heutigen Umgebung als Trennelement funktionslos geworden, gibt Göthner der Formsteinmauer als eine Art kommunikativer Tresen der künstlerischen Raumsituation eine neue Aufgabe.
www.lfm2.de
Die Frontfassade des Langen Stalls zeugt noch von dem über 160 Meter langen Baukörper, der 1945 zerstört wurde. Ein dunkel abgesetztes Dreieck lässt die Kubatur des ehemaligen Stalls erkennen, eine kleine, bogenförmige Toröffnung erinnert an den ursprünglichen Durchgang zum Kopfbau und schafft somit eine räumliche Verbindung zur Fassade. Sornrapat Patharakorn betont diese Verbindung, indem er auf dem ehemaligen Baugrund des Stalls eine Spiegelkonstruktion aufbaut, deren Licht über die Fassade wandert und einmal am Tag, um genau 12 Uhr, das Tor der ehemaligen Stallarchitektur erleuchtet.
Patharakorn visualisiert in seiner Lichtprojektion die Verbindung zwischen der architektonischen Geschichte Potsdams und aktuellen städtebaulichen und diskursiven Prozessen, die sich an diesem Ort zeigen. Er nutzt die passive Sonnenenergie, um einen Raum zu schaffen, der sich durch die Sonnenbewegung sowohl innerhalb eines Tages, als auch im gesamten Ausstellungszeitraum wandelt.
sornrapat_patharakorn
Als Heinrich Heine im Frühjahr 1829 kurz nach einem Italienaufenthalt drei Monate in Potsdam verbrachte, schrieb er in einem Brief an die von ihm verehrte Friederike Robert: Vorgestern war ich in Sanssouci, wo alles glüht und blüht, aber wie! du heiliger Gott! Das ist alles nur ein gewärmter, grünangestrichener Winter, und auf den Terrassen stehen Fichtenstämmchen, die sich in Orangenbäume maskiert haben.
Obwohl der Besuch Heines und seine Schilderungen fast 200 Jahre zurückliegen, lässt sich anhand der von ihm attestierten Kulissenhaftigkeit die Entwicklung Potsdams diskutieren: Kriegszerstörungen, Abrisse und Stadtumbau zur DDR-Zeit und drei Jahrzehnte diskursive Stadtgestaltung seit dem Mauerfall haben Potsdam geprägt. Das Künstlerkollektiv Situation Room hinterfragt die Authentizität von Architektur, indem sie einen Teil des Zitats Heines an den Fassaden der Werner-Seelenbinder-Straße anbringen. Das Studierendenwohnheim, die Baustelle des rekonstruierten Garnisonkirchenturms, das Rechenzentrum, die Nagelkreuzkapelle, die Fassade des Langen Stalls, die Jüdische Gemeinde sowie ein barockes Wohnhaus werden mit ihren unterschiedlichen Stilen, Funktionen und Epochen zu Trägern der Fragestellung über städtebauliche Kontinuität und Tradition von Repräsentation in Potsdam.
www.situationroom.de
Mit THE TINY TOUR gehen Vanessa Brazeau, Paloma Sanchez-Palencia und Lena Skrabs vom Kleinteiligen ins ganz Große: Sie entwerfen für einen Parkplatz, eine kleine Fläche von etwa zwei mal sechs Metern, eine reduzierte Stadtführung. Innerhalb von zehn Minuten stellen die Künstlerinnen Fragen, stellen Szenarien auf, liefern reale und fiktive Fakten und beginnen ein Gespräch mit ihrem Publikum.
Den Mikrokosmos, den THE TINY TOUR entwirft, lässt sich auf den Makrokosmos des Stadtraumes anwenden. Die Potsdamer Inszenierung von THE TINY TOUR nimmt sich der Entwicklung ihres Umfeldes an und stellt Potsdam als Prototypen für die Stadtentwicklung in ganz Deutschland heraus. Der banale Ort des Parkplatzes bietet dabei das Potential, stellvertretend sein Umfeld zu verstehen.
Auf der Brachfläche neben dem Rechenzentrum realisiert Anke Westermann eine begeh- und benutzbare Installation aus Nadelfilzteppichen. Die Grundrisse der anliegenden Gebäude werden im Maßstab 1:12 auf das Nadelfilz übertragen, wodurch das Gebiet der Transformale modellhaft nachempfunden wird. Jedem Gebäudetyp wird entsprechend seiner historischen Epoche und Funktion eine eigene Farbe zugewiesen. Der Plan des Areals wird so auf ein menschlich erfassbares Maß gebracht, die einzelnen Grundrisse bekommen durch ihre farbliche Kennzeichnung, ähnlich wie Karten im Atlas, eine neue inhaltliche Kodierung.
Die Besucher*innen der Transformale können auf den so geschaffenen Teppichinseln verweilen und die einzelnen Elemente umarrangieren und so zu Stadtgestalter*innen werden. Während der Ausstellungsdauer wandelt sich das Modell des Stadtgrundrisses und visualisiert dabei zurückliegende, zukünftige und mögliche städtebauliche Entwicklungen des Innenstadtareals.
www.ankewestermann.de
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